Interview mit Karosseriebauerin Linda Mittelberger: "Es gab Kommentare wie: 'Du bist ein Mädchen, du kannst das nicht'"
In unserer Serie “Selbst ist die Frau” stellen wir regelmäßig Unternehmerinnen vor, die sich in einer nach wie vor männerdominierten Wirtschaftswelt besonderen Herausforderungen stellen müssen. Wie wird eine Frau als Führungspersönlichkeit wahrgenommen? Stellen sich Frauen größere Hindernisse in den Weg als Männern? Gibt es Branchen, in denen das übliche Rollenbild noch nie Fuß fassen konnte? In einer Reihe von Interviews gehen wir diesen Fragen nach – und versuchen herauszufinden, welchen Einfluss Frauen in ihren jeweiligen Branchen durch ihr Handeln haben können.
In dieser Episode sprechen wir mit Linda Mittelberger, eine von drei Karosseriebauerinnen in Südtirol. Linda ist 28 Jahre alt und arbeitet in der Werkstatt Continental bei ihrem Vater in der Bozner Gewerbezone. Sie steht kurz davor, die Meisterprüfung abzulegen – doch der Weg bis hierher war nicht immer leicht. Vorurteile und Neckereien von Seiten ihrer Wegbegleiter haben ihren Berufsweg stets begleitet und auch im operativen Geschäft muss sie sich immer wieder Sprüche gefallen lassen. Jedoch kommt ihr von der anderen Seite auch viel Anerkennung und Respekt entgegen. Die junge Handwerkerin und zukünftige Unternehmerin glänzt durch ihre Ruhe, ihre Abgeklärtheit und die bedingungslose Liebe zu ihrem Beruf. Linda erzählt uns, warum sie trotz ihrer Abneigung in jungen Jahren trotzdem Karosseriebauerin wurde; wieso ihre Berufsziele Kosmetikerin und Friseuse letztendlich nicht das Richtige waren; und warum das beste Gegenmittel gegen Vorurteile die eigene Kompetenz ist.
Frau Mittelberger, sind Sie die einzige Karosseriebauerin in Südtirol?
Nein, momentan gibt es mit mir drei. Zwei davon haben schon die Meisterprüfung hinter sich gebracht. Ich bin angehende Meisterin, wenn alles gut läuft, schließe ich im November ab.
Wie kann man sich das sogenannte Meisterstück in diesem Beruf vorstellen?
Die Meisterprüfung ist in vier große Module eingeteilt: Lehrlingsausbildung, Wirtschaft und Recht sowie Theorie und Praxis zum Karossiebauerberuf. Der Theorieteil beinhaltet Fächer, wie wir sie auch aus der Schule kennen, wie zum Beispiel Mathematik. Beim praktischen Teil müssen wir dann lackieren, schweißen, Teile biegen. Letzteres muss besonders dann angewandt werden, wenn es um die Reparatur von Oldtimer geht. Für die gibt es nämlich kaum noch Ersatzteile zu kaufen. Daher ist dies eine sehr wertvolle Fähigkeit. Wenn man mit Metall gut umgehen kann und eine gewisse technische Begabung hat, so spart man Zeit und Geld, sowohl für den Kunden als auch für den Karosseriebauer.
Haben Sie Ihre technische Begabung schon in jungen Jahren erkannt?
Ich muss zugeben, dass ich mich als Kind immer gegen den Beruf des Karosseriebauers gesträubt habe. Ich habe meinem Vater manchmal beim Schleifen geholfen, da wir selbst einen Betrieb haben. Wir waren oft in der Werkstatt und so kam es ab und zu vor, dass ich Hand angelegt habe. Aber eigentlich wollte ich immer Friseuse oder Kosmetikerin werden.
Und wieso ist nichts daraus geworden?
Ich bin sogar extra auf eine Schule gegangen, die auf Kosmetik und das Friseurhandwerk spezialisiert ist. Es gab jedoch auch andere Fächer wie Keramik, Holz und Metall. Nach dem zweiten oder dritten Tag bin ich zum Direktor gegangen und habe gefragt, ob ich nicht zur Holzverarbeitung darf anstatt zum Kosmetikunterricht. Und ich durfte.
Was war denn ausschlaggebend, dass Kosmetikerin oder Friseuse letztendlich aus der Berufswahl ausgeschieden sind?
Ich selbst mache es nach wie vor gern, frisieren, schminken und so weiter. Aber nur solange ich das bei mir selbst machen kann – oder bei einer Freundin. Bei fremden Menschen macht es mir gar keine Freude mehr. Wenn ich mir vorstelle, dass ich acht Stunden am Tag in den Haaren von anderen Personen herumfuchteln müsste, wäre das für mich inzwischen unvorstellbar. Da sind mir Autos durchaus lieber.
Aber wie steht es mit den Besitzern? Sind die nicht so anspruchsvoll? Für viele Menschen ist das Auto ein ausgewiesenes Heiligtum.
Doch, bei Autos ist die Kritik sehr groß. Da geht es dann darum, die Kritik anzunehmen, das Auto eventuell zurückzunehmen und es besser zu machen. Und je anspruchsvoller die Kunden sind, umso besser. Nur so kann ich in meinem Beruf immer besser werden.
Werden Sie von Kunden in Ihrem Beruf anders wahrgenommen oder behandelt, weil Sie eine Frau sind? In unserer Gesellschaft – und da nehme ich mich selbst nicht heraus – hat sich dieses Berufsbild als Männersache festgesetzt.
Es kommt ganz darauf an. Wenn Kunden zu uns kommen und mein Vater sie durch die Werkstatt führt, reagieren die Menschen ganz unterschiedlich. Einige sagen Wow, sie hätten noch nie eine Frau in diesem Handwerk gesehen. Einige werden sich sicher ihren Teil dazu denken. Aber wenn ich ein Kundengespräch führe, heißt es manchmal: „Nein, ich will mit deinem Vater bzw. deinem Chef sprechen.“ Als Frau ist man in dieser Branche Vorurteilen ausgesetzt. Leider sehe ich noch dazu viel jünger aus, als ich effektiv bin. Man spürt, dass viele denken, dass Frauen hinter den Schreibtisch, hinter den Herd oder sonst wohin gehören, nur nicht in die Nähe eines Autos. Ob so oder so, man kriegt es immer zu spüren. Auch im ersten Jahr in der Karosseriebauerschule hatte ich mit einigen Vorurteilen zu kämpfen. Da kamen auch Kommentare wie: „Du bist ein Mädchen, du kannst das sowieso nicht.“ – aber das ist halt so, überhaupt, wenn man noch sehr jung ist.
Wie ist es bei den Mitarbeitern, vor allem bei den neu eingestellten? Immerhin wissen sie, dass Sie die Tochter vom Chef sind und dass Sie irgendwann wahrscheinlich das Unternehmen übernehmen werden.
Da ich sehr viel in der Lehrlingsausbildung tätig bin, arbeite ich oft mit viel Jüngeren. Normalerweise sind sie 18, 20, aber auch 25 Jahre alt. Da bildet sich ganz oft ein Freundschaftsverhältnis. Bei älteren Mitarbeitern, die schon eine gewisse Erfahrung und eine gewisse Ausbildung haben, ist es schwieriger. Die lassen sich von einer Frau, die zudem sehr jung aussieht, nicht immer etwas sagen. Aber ich denke, ich würde da nicht anders sein.
Und wie reagieren Sie auf solche Reaktionen von Kunden oder Mitarbeitern?
Ich bleibe höflich, bleibe ich selbst und zeige ihnen meine Kompetenz. Und sollte ich etwas einmal wirklich nicht wissen, informiere ich mich. Ich werde aber sicher nie zu meinem Vater oder meinem Vorgesetzten gehen und die Personen anschwärzen. Ich kläre meine Angelegenheiten selbst. Aber man muss solchen Menschen einfach zeigen: „Schau da, ich hab’s drauf, auch wenn du das nicht so siehst.“
Und wie ist es bei fremden Menschen, die Sie außerhalb Ihrer Arbeit kennenlernen?
Auch da sind die Reaktionen ganz unterschiedlich. Einige denken, ich würde Sie nur auf den Arm nehmen. (lacht) Ich muss dann insistieren, dass ich das mache. Andere sind positiv überrascht und finden das cool. Und da komme ich jetzt auf die Kunden zurück: Wenn mein Vater erzählt, dass ich besonders gerne Armaturenbretter aus- und einbaue, nachdem der Airbag bei einem größeren Unfall ausgelöst wurde, gefällt das den Menschen. Ein Kunde hat einmal extra deswegen seine beiden Töchter mitgenommen, sodass sie sich diese Arbeit einmal anschauen. Zugegeben, seine Töchter hat das nicht allzu sehr interessiert. (lacht) Aber seine Reaktion hat mir sehr viel bedeutet. Ich habe mich gut gefühlt, einfach weil es mir so viel Freude bereitet hat, dass er das so toll gefunden hat.
Es ist auch eine sehr erfrischende Sache. Wir Südtiroler sind ja ein konservatives Völkchen mit sehr festgefahrenen Ansichten. Hier aus der Reihe zu tanzen und komplett mit den Konventionen zu brechen, erfordert Mut. Wie hat Ihre Familie die Entscheidung, Karosseriebauerin zu werden, aufgenommen? Waren sie überrascht?
Meine Schwester und ich sind nie zu etwas gezwungen worden. Weder wurde uns gesagt, dass wir studieren oder direkt in die Arbeitswelt eintauchen müssten. Klar war nur, dass wir nicht nur zu Hause rumsitzen dürfen. Meine Eltern haben anfangs an meiner Entscheidung schon gezweifelt. Daher wurde ich zunächst auf eine Schule geschickt, die als Schwerpunkt Metallverarbeitung hatte. So konnten wir sichergehen, dass es mich wirklich interessiert.
Ihr Vater muss sich aber gefreut haben, wie ein kleines Kind zu Weihnachten, sehe ich das falsch?
Mein Vater war natürlich erfreut, dass ich vorhatte in seien Fußstapfen zu treten. Man merkt, dass meine Eltern stolz auf mich sind. Auch in meiner Verwandtschaft ist das Feedback durchgehend positiv. Die Maxime in meiner Familie war immer: Mach das, was dir am meisten Freude bereitet und was du ein ganzes Leben gerne machen wirst.
Das Berufsbild ist in zwei Kategorien aufgeteilt: Spenglerei und Lackiererei. Ich hätte nun klischeebehaftet gesagt: Sie sind Lackiererin.
Nein, ich bin Spenglerin. Ich muss natürlich beides können, aber geboren ist man für eines der beiden Dinge. Das ist bei mir die Spenglerei, weil ich die Metallverarbeitung liebe.
In einem Artikel in einem Printmedium haben Sie auch gesagt, Sie wären zur Berufsberatung gegangen, wo Sie diese Liebe zum Metall konkret erkannt haben.
Ja, ich bin nach Innsbruck, um einen speziellen Test zu machen. Dort wurden meine Fähigkeiten unter verschiedenen Voraussetzungen und Umständen getestet. Ich musste einen Baum zeichnen, Matheprobleme lösen, Figuren und Formen zusammensetzen – es ist eine Art psychologischer Test, mit dem die eigenen Talente aufgezeigt werden. Es ist wirklich ein guter Test, der die eigenen Fähigkeiten hervorhebt und einem ein Bild davon vermittelt, für welchen Beruf oder Fachbereich man geeignet ist. Und letztendlich hieß es: „Worauf wartest du? Deine Welt ist das Metall.“ Interessant, wenn ich bedenke, dass ich auch auf einer Grafikschule war.
Und warum war das nichts für Sie?
Ich bin gleich schon im ersten Jahr durchgefallen. (lacht) Also habe ich im Herbst, nach dem Test, sofort die Schule gewechselt. Deshalb bin ich froh, diesen Test gemacht zu haben. Sonst verliert man Jahre, bis man das Richtige gefunden hat. Und mit 15, 16 Jahren geistern so viele Ideen im Kopf herum, dass so ein richtungsweisender Test eine große Hilfe sein kann.
Gab es irgendetwas in ihrem Leben, das dieses Interesse an Metall entfacht hat?
Wir mussten im Metallunterricht einmal eine Kupferschüssel anfertigen. Wir haben ein gerades Stück Metall in die Hände bekommen und mussten es zu einem Gegenstand formen. Als ich dann diese Schüssel in der Hand hielt, war das wie eine Erleuchtung. Ich war begeistert. Diese Präzision, die man beim Verarbeiten braucht, damit das Endprodukt schließlich schön aussieht, hat mich fasziniert.
Nun ist Karosseriebauerin ein körperlich sehr anspruchsvoller Beruf. Gibt es Tätigkeiten, die Sie als Frau körperlich überfordern? Zum Beispiel wenn es darum geht, schwere Gegenstände zu schleppen.
Wir müssen des Öfteren Reifen abmontieren, damit man besser an ein Teil rankommt. Wenn ein SUV oder sonst ein größeres Auto mit großen, schweren Reifen bei uns in der Werkstatt steht, hol ich mir Hilfe von meinen Arbeitskollegen. Gleiches gilt bei den Richtbänken, die sind unheimlich schwer.
Haben Sie Geschwister? Vielleicht einen Bruder, dem Sie den Platz weggeschnappt haben?
Nein, Bruder habe ich keinen, aber eine Schwester. Sie ist Architektin.
Hätten Sie jetzt, mit 28 Jahren, nochmal die Wahl, würden Sie immer noch Karosseriebauerin werden?
Ja, auf jeden Fall. Mich würde aber auch Tischlerin reizen. Doch Holz hat für mich nicht den gleichen Effekt wie Metall. Ich bin der Meinung, wenn der Beruf an ein Material gebunden ist, dann hat man auch wirklich die Leidenschaft für dieses Material. Holz gefällt mir, aber Metall ist meine Passion.
Sie werden sicherlich demnächst den Betrieb von Ihrem Vater übernehmen. Wird das in absehbarer Zeit geschehen?
Das ist eine sehr gute Frage. Ein konkretes Datum gibt es noch nicht. Aber irgendwann wird der Zeitpunkt sicherlich kommen. Und da ich mit einem guten Team arbeite, bin ich mir sicher, wird das reibungslos über die Bühne gehen.