"Mehr Platz für Menschen und weniger für Autos". Interview mit Georg Willi, Bürgermeister von Innsbruck
Georg Willi, der im Mai 2018 zum Bürgermeister von Innsbruck gewählt wurde, ist der erste “grüne” Bürgermeister in einer österreichischen Hauptstadt. Bezahlbarer Wohnraum, die Bekämpfung der Wohnungsspekulation und konkrete Maßnahmen gegen die Klimakrise sind einige der Eckpfeiler von Willis grüner Vision – wir haben ihn gefragt, ob und wie erfolgreich er dies in konkrete Maßnahmen umgesetzt hat.
Sie sind der erste grüne Bürgermeister einer österreichischen Landeshauptstadt: Wie erfolgreich waren Sie bei der Entwicklung Ihrer Vision und was muss noch getan werden, um sie zu erreichen?
Gerade in Hinblick auf die Bekämpfung der Klimakrise ist einiges gelungen: wir haben eine Stadtklimaanalyse und eine Klimawandelanpassungsstrategie und damit die Evidenz-basierte Theorie, die wir für die Praxis benötigen. Die Stadt und alle städtischen Beteiligungen denken Nachhaltigkeit, Klimaschutz und erneuerbare Energien bei allen Projekten und auf allen Ebenen mit. Wir haben mehr Radinfrastruktur gebaut, Fördertöpfe für Sanierungen und erneuerbare Energien eingeführt und aktuell in der Teuerungskrise verlängert und aufgestockt. Mit dem Projekt und Park „Cool-lNN“ bei der Messe haben wir einen klimafitten Platz gemeinsam mit der Uni Innsbruck entwickelt und setzen dieses Konzept mit dem „Coolymp“ jetzt auch in einem anderen Stadtteil um. Gerade in den überhitzten Städten braucht es mehr solche „coolen Oasen“, mehr grüne und blaue Infrastruktur. Was getan werden muss, um noch mehr zu erreichen? Wir müssen das Tempo bei der Umsetzung erhöhen!
Was sind die größten Hindernisse, auf die Sie bei der Verwirklichung Ihrer Pläne für eine nachhaltige und klimaneutrale Stadt gestoßen sind, und was scheint andererseits funktioniert zu haben?
In der aktuellen Konstellation sind es die Mehrheitsverhältnisse im Innsbrucker Gemeinderat. Eine rechtskonservative Mehrheit aus ÖVP, FPÖ und Für Innsbruck (FI) hat in den letzten Jahren zwei bereits geplante und finanzierte (zu einem erheblichen Teil mit Bundesmitteln) Platzgestaltungen willkürlich abgelehnt und auch die Umsetzung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit im Innsbrucker Stadtgebiet verhindert. Entgegen der klaren Empfehlungen der Ämter und Behörden. Der Innsbrucker Gemeinderat ist mit aktuell zwölf Listen sehr zersplittert, die ursprüngliche Koalition aus Grüne, ÖVP, FI und SPÖ bestand – mit Ausnahme der Grünen – aus Parteien, die bei den Wahlen 2018 alle teils große Verluste hinnehmen mussten. Die Ausgangslage war also von Beginn an schwierig.
Wohnen ist ein heißes Thema, nicht nur in Innsbruck … auf welchen Prinzipien beruhen Ihre Pläne für ein ‘leistbares Wohnen’?
Der Wohnungsmarkt in Innsbruck ist seit Jahren völlig überhitzt. Gleichzeitig sind die Ursachen für die hohen Wohnungspreise sehr komplex. Die öffentliche Hand muss daher alle Hebel in Bewegung setzen, die sie nutzen kann. Sprich: kommunaler Wohnbau, die Mobilisierung von Leerstand und Flächen für den Wohnbau und eine Stadtplanung und vor allem eine Stadtpolitik, die reinen Investorenprojekten einen Riegel vorschiebt. Gerade in Sachen Leerstand hat sich in meiner Amtsperiode viel getan. Innsbruck ist eine der ersten Städte Österreichs, die den Leerstand faktenbasiert erhebt. Durch die kürzlich eingeführte Leerstandabgabe hoffen wir, dass Wohnraum mobilisiert werden kann.
Der Job des Bürgermeisters ist wahrscheinlich einer der schwierigsten, gibt es etwas, das Sie nicht erwartet haben? Sowohl im negativen als auch im positiven Sinne….
Ich habe nicht erwartet, wie viel Mitgestaltungsmöglichkeit ein Bürgermeister über die städtischen Beteiligungen hat. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Energie manche Mandatare aufbringen, um gute Projekte zu bremsen oder zu verhindern.
Kennen Sie Südtirol, sind Sie oft dort? Was sind Ihrer Meinung nach die deutlichsten Unterschiede zwischen Nord- und Südtirol?
Südtirol hat natürlich eine völlig andere, nämlich viel bessere finanzielle Ausstattung. Das sieht man überall. Da ist viel Altes schön restauriert und gut mit Neuem verbunden worden, die Dorfgestaltungen sind von hoher Qualität, man merkt überall die hohe Wirtschaftskraft. Und dann sehe ich die Zweisprachigkeit als Riesenchance, gerade für die Jungen. Mit Englisch, das heute in den Schulen schon sehr früh erlernt wird, sind die Südtiroler:innen dreisprachig. Das ist in einem zusammenwachsenden Europa sehr positiv.
Wie stellen Sie sich Innsbruck im Jahr 2030 vor?
Ich hoffe, dass Innsbruck 2030, gerade was den Wohnungsmarkt betrifft, leistbarer sein wird. Schon jetzt ziehen immer mehr junge Familien ins Umland, auch viele der Studierenden bleiben nach Abschluss ihres Studiums nicht in der Stadt, damit geht viel Potenzial verloren. Für die Zukunft unserer internationalen, weltoffenen Universitätsstadt wünsche ich mir auch eine lebendige, innovative Startup-Szene. Innsbruck muss im Jahr 2030 große Schritte zu einer smarten, klimafitten Stadt zurückgelegt haben. Dazu gehört für mich neben dem Fokus auf Energieautonomie und Nachhaltigkeit auch eine faire Aufteilung des öffentlichen Raums. Also: Verkehrsberuhigung, nachhaltige Kühlung der Hitzeinseln und mehr Platz für die Menschen und nicht für fahrende und abgestellte Autos.
Caterina Longo
Foto© Franz