Der beste Bürgermeister der Welt ist eine Frau (und Kommunistin). Interview mit Elke Kahr, Bürgermeisterin von Graz

Eine Frau als Bürgermeisterin in Graz, die zweitgrößte Stadt Österreichs, grenzt schon an ein politisches Wunder. Doch Elke Kahr ist nicht nur das, denn sie ist die erste kommunistische Bürgermeisterin an der Spitze der steirischen Hauptstadt. Kahr wurde im November 2021 als erste Bürgermeisterin auf den Listen der KPÖ, der Kommunistischen Partei Österreichs, gewählt, die aus den Kommunalwahlen mit 28,84% als unerwarteter Sieger hervorging. Ein Erfolg der Kommunistischen Partei, der auch Salzburg berührte, wo die Partei innerhalb von fünf Jahren von 2.000 auf 14.000 Stimmen anstieg und den 35-jährigen Kay-Michael Dankl (wir hatten hier darüber berichtet) in die Stichwahl um den Bürgermeistersessel führte. In Graz regiert Elke Kahr in einer Linkskoalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ. “Wir arbeiten sehr konstruktiv zusammen”, sagte uns die Bürgermeisterin. Kahr, die für ihren Kampf für soziale Inklusion und Wohnungsbau bekannt ist, wurde 2023 für ihren “selbstlosen Einsatz für die Stadt und ihre Bürger” mit dem renommierten internationalen World Mayor Prize ausgezeichnet. Aber bevor wir darüber sprechen, müssen wir unbedingt eine andere grundlegende Frage stellen.

Was bedeutet für Sie heute, im Jahr 2024, eine Kommunistin zu sein?

Kommunismus ist eine Utopie und keine Regierungsform. Kommunistin zu sein bedeutet 2024 das gleiche wie im Jahr 1918, als die Kommunistische Partei Österreichs gegründet wurde: Die Überzeugung, dass die großen Fragen der Gesellschaft nur gemeinsam und demokratisch gelöst werden können, indem die Öffentlichkeit das, was alle täglich brauchen, auch selbst besitzt. Es geht nicht um eine staatliche Kontrolle sämtlicher Lebensbereiche, aber wesentliche Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wohnen und Pflege, aber auch der Schutz unserer Lebensgrundlagen, dürfen nicht der Logik und den Profitinteressen des Marktes unterworfen werden.
Und es bedeutet, alle Menschen als gleichwertig zu betrachten. Niemand sollte aufgrund seiner Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Herkunft mehr Möglichkeiten haben als andere. Jeder hat das Recht auf ein Leben in Frieden und einen gerechten Anteil daran, was alle gemeinsam erwirtschaften. Dass Staaten unter dem Namen „Kommunismus“ oft etwas ganz anderes praktiziert haben und die KPÖ dazu lange Zeit keine deutlichen Worte gefunden hat, ist nicht zu leugnen und verlangt eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Es ändert aber nichts an der geschilderten Grundorientierung auf eine Welt, in der der private Profit nicht an erster Stelle stehen darf.

 

Eines der brennendsten Themen, das Sie immer wieder vorgebracht haben, auch im Stadtrat, ist die Wohnungsfrage, ein Querschnittsproblem, das so viele große und kleine europäische Städte betrifft. Welches sind die wichtigsten. Gibt es ein exportierbares Rezept?

Ich glaube, dass eines überall wichtig ist, wo Wohnraum knapp ist: Dass die Kommunen selbst möglichst viele Wohnungen errichten und besitzen und die Wohnungsfrage nicht dem freien Markt überlassen. Bevor die KPÖ in Graz für diesen Bereich zuständig war, hat die Stadt jahrzehntelang keine eigenen Wohnungen mehr gebaut. Das hat sich geändert, in dieser Periode sind mindestens 500 neue Gemeindewohnungen geplant, mehr als 300 sind bereits an ihre Bewohnerinnen und Bewohner übergeben. Dadurch hat die Stadt selbst die Möglichkeit, die Höhe der Mieten und auch der Betriebskosten zu bestimmen – aber auch die Wohnqualität. Funktionieren kann das alles nur, wenn die Stadt rechtzeitig vorsorgt und sich Grundstücke sichert.

Gibt es noch andere Maßnahmen, die Sie im Hinblick auf den Wohnungsmangel ergriffen haben?

Bei den älteren stadteigenen Wohnungen verbessern wir ständig die Qualität durch thermische Sanierung oder etwa durch den Anbau von Balkonen, was die Menschen sehr zu schätzen wissen. Eine gute soziale Durchmischung, Anbindung an den öffentlichen Verkehr, leistbare Mieten und Betriebskosten, das alles wird im frei finanzierten Wohnbau oft nicht im nötigen Ausmaß berücksichtigt. Und mit der Mietzinszuzahlung der Stadt Graz, die es sonst nirgendwo in Österreich gibt, deckeln wir bei den Gemeindewohnungen die gesamten Wohnkosten, die Heizkosten eingeschlossen, bei einem Drittel des Haushaltseinkommens. Wer mehr als das für die Wohnung ausgeben muss, bekommt von der Stadt einen Ausgleich.

 

Es hat viel Aufmerksamkeit erregt, dass Sie einen großen Teil Ihres Gehalts an einen Fonds für Bedürftige spenden. Zu den Eingliederungsinitiativen, die Sie gefördert haben, gehört auch der “Sozialpass”, der schwächeren Bevölkerungsschichten den Zugang zu Verkehr und Kultur ermöglichen soll. Funktioniert das?

Dafür habe ich viele Jahre gekämpft, bis die SozialCard vor über zehn Jahren schließlich unter diesem Namen eingeführt wurde. Sie ist ein ganz wichtiges sozialpolitisches Instrument, weil sie dafür sorgt, dass alle Menschen, auch wenn sie geringe Einkommen haben, am Leben teilhaben können – also Konzerte besuchen, den ÖV nutzen – übrigens ein Jahr lang für 50 Euro, darauf bin ich sehr stolz –, Sport und Freizeitaktivitäten nachgehen oder einen Sprachkurs machen können. Kindern können kostenlos in Vereinen mitmachen, es gibt Schulstartgeld, einen Heizkostenzuschuss und Weihnachtsbeihilfe. All das bekommen die ca. 14.000 Besitzerinnen und Besitzer einer SozialCard ohne gesondertes Ansuchen automatisch. Das war unter der alten Stadtregierung anders, da wollte man es den Menschen möglichst schwer machen, Unterstützung zu bekommen. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass durch die starke Teuerung in Österreich auch Menschen in schwierige Situationen geraten sind, die über Arbeitseinkommen verfügen. Deshalb haben wir die Voraussetzungen geändert, das mehr Menschen die SozialCard bekommen können. Das hat sich sehr bewährt.

Elke Kahr mit einem Mitarbeiter des Straßendienstes während der ‘Tempo 30’-Kampagne im Jahr 2021. Foto Fischer

Welche anderen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Die Stadtteilarbeit finde ich sehr wichtig für ein gutes Zusammenleben aller in einer Stadt der Größe von Graz. Damit können unterschiedliche Menschen zusammengebracht werden, um einander kennenzulernen, zu plaudern oder gemeinsame Aktivitäten durchzuführen. Das alles muss unkompliziert und unbürokratisch funktionieren, was auch für die städtischen Ämter gilt. Von großer Bedeutung ist auch der Schutz des Grünraums und der Grazer Altstadt, wofür sich die KPÖ seit langer Zeit einsetzt. Die Stadt hat bei diesen Themen nur eingeschränkte Eingriffsmöglichkeiten. Wir möchten diese aber so gut wie möglich nutzen, um manche Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und der nächsten Generation eine lebenswerte Stadt hinterlassen.

 

Mit Blick auf die Politik in anderen österreichischen Städten: Glauben Sie, dass das hervorragende Ergebnis von Kay-Michael Dankl bei der Bürgermeisterwahl in Salzburg im vergangenen März auch mit Ihrem Beispiel in Graz zusammenhängt, mit dem Sie das Image Ihrer Partei, der KPÖ, erneuert und gestärkt haben?

Kay-Michael Dankl hat sich sein hervorragendes Wahlergebnis zusammen mit seinen Mitstreitern selbst erarbeitet. Ich freue mich, wenn wir aus Graz dazu einen kleinen Beitrag geleistet haben, letztendlich gewinnt man das Vertrauen der Menschen aber nur im direkten Gespräch und durch persönlichen Einsatz. Und davon hat er sicher sehr viel gezeigt, seit er vor fünf Jahren als „Einzelkämpfer“ in den Salzburger Gemeinderat gewählt wurde.

Caterina Longo

Foto: Elke Kahr, Bürgermeisterin von Graz. Foto tinksi

 

 

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